Im Einsatz für Völkerverständigung
Mit ihren sehr unterschiedlichen Erfahrungen und beruflichen Hintergründen nehmen die drei nun zusammen mit neun weiteren Jugendlichen aus insgesamt acht Ländern bis Ende August an einem solchen in Huckelriede in einem ehemaligen Wohnheim des Martinsclubs teil. Das Ziel: Gemeinsam ein gemeinnütziges Projekt gestalten, dabei über Ländergrenzen hinweg Kontakte knüpfen und andere Kulturen kennenlernen.
Dieses schöne Ziel hat auch den Sonderfonds „Bremen macht Helden“ der Bremer Sparkasse überzeugt und durch deren Förderung das Camp überhaupt erst ermöglicht. Weitere praktische Unterstützung leistet nach den ersten Tagen auch die benachbarte Bäckerei, die ihr bis zum Ladenschluss noch nicht verkauftes Brot spendet. Bei einem Budget von fünf Euro pro Tag und Person für alle Verpflegungs- und Verbrauchsmaterialien ist das eine willkommene Unterstützung.
Veranstaltet werden derartige Camps schon seit 1949 vom Internationalen Jugendgemeinschaftsdienst – ein seinerzeit vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs ins Leben gerufener Verein, der Beiträge zur Völkerverständigung leisten soll. Und das ist auch heute noch bitter notwendig. „Neben Liliana aus Russland haben wir auch einen Teilnehmer aus der Ukraine. Als beide in der ersten Vorstellungsrunde zusammentrafen, war es erst einmal still“, berichtet Annika Melzer. Die 19-Jährige leitet gemeinsam mit Clara Prinz das Jugendworkcamp auf ehrenamtlicher Basis, nachdem beide schon mehrere Male als Teilnehmerin auf vielen Camps waren. „Wir koordinieren aber nur den Ablauf, im Grunde ist die Idee der Camps, dass man sich in einem abgesteckten Rahmen selbst organisiert“, erklärt Prinz, die ebenso wie sämtliche Teilnehmer zum ersten Mal Bremen besucht.
Ideen und Eigeninitiative
Dass ein solches Camp dieses Jahr in der Hansestadt an der Weser Premiere hat, war die Idee der Neustädter Stadtteilmanagerin Astrid-Verena Dietze. Sie hat darüber zum ersten Mal vor zwei Jahren zusammen mit Arabella Walter vom Bremer Jugendring nachgedacht. Auch das zur Jugendbildungsstätte Lidice-Haus gehörende Servicebureau Jugendinformation, dessen Aufgabenschwerpunkt internationale Jugendkontakte sind, war von Anfang an mit im Boot. Gemeinsam nahmen sie den Kontakt zum Internationalen Jugendgemeinschaftsdienst auf.
Walter hat als Jugendbildungsreferentin des Jugendrings mit „Unexpected“ jetzt auch ein aktuelles gemeinnütziges Projekt für das Camp mitgebracht. Dabei stehen Ideen von Partizipation und Begegnung von Jugendlichen im Mittelpunkt. Die Art und Weise, wie das geschieht, hängt jedoch allein von den jeweiligen jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern ab. „Unexpected“ wird aus dem Integrationsbudget des Amtes für soziale Dienste gefördert und läuft seit gut einem Jahr mit vielfältigen Aktionen, beispielsweise einem offenen Atelier in der Neustädter Zionsgemeinde oder einem Dokumentarfilmprojekt.
Ein Schwerpunkt des Jugendworkcamps ist als Teil von „Unexpected“ die Programmgestaltung für eine Worldcamp-Jurte beim Summer-Sounds-Festival an diesem Sonnabend, 12. August, in den Neustadtswallanlagen. Die Jugendlichen wollen mit Besuchern ins Gespräch kommen. Dafür konstruieren sie eine Art soziale Skulptur aus Luftballons mit Fragen, die Gesprächsanlässe liefern sollen.
An dieser „Unexpected“-Aktion sind als Gäste im Jugendworkcamp vier Flüchtlinge beteiligt. Einer von ihnen ist Mansoor aus Afghanistan, der seit neun Monaten in Bremen lebt. „Die Idee ist, durch möglichst offene Fragen eine Geschichte von den Menschen zu hören, die unsere Jurte der Begegnung besuchen“, erläutert er das Konzept. Die Bandbreite der Fragen reicht von philosophischen (Braucht man Religionen?) bis zu persönlichen (Was erwarten Sie von einem Fremden?).
Ein zweiter Fokus des Camps liegt auf der Unterstützung des Theatersommers „Shakespeare im Park“, den die Bremer Shakespeare Company in diesem Jahr vom 16. bis 20. August mit fünf Stücken des britischen Dramatikers im Bürgerpark gestalten wird. Geplant sind darum Schauspiel-Workshops und der Einsatz als freiwillige Helfer während der Veranstaltung. Entsprechend wurde das Workcamp auch als „Your-Festival-Summer in Bremen“ beworben – und war nach vier Wochen ausgebucht.
Angereist sind die Teilnehmer mit unterschiedlichen Erwartungen. Liliana aus St. Petersburg studiert zum Beispiel Kunst und Design. Sie hat das Camp vor allem mit Blick auf die kreativem Herausforderungen gebucht. Ähnlich wie Cedric aus Mailand, der im britischen Wales Politik und Theaterwissenschaften studiert, hat sie das Angebot gelockt, gleich an zwei Festivals mit Musik und Theater mitzuwirken. Für beide war Bremen zuvor keine allzu bekannte Größe. „Aber als ich bei einer Besichtigungstour die Stadtmusikanten am Rathaus gesehen habe, fiel mir wieder ein, wo ich den Namen schon gehört habe“, sagt Cedric.
Liliana ist vor allem vom Schnoorviertel angetan und hat ihre Beobachtungen direkt in einem Skizzenbuch verewigt. Beide beschreiben Bremen in ihren ersten Eindrücken als ruhig, gemütlich und sogar niedlich. Ayca, die im türkischen Erzurum Medizin studiert, findet das Bremer Stadtbild vor allem freundlich: „Alles hier ist so übersichtlich, und es gibt keine Architektur, die nur beeindrucken soll. Die Häuser sind für die Menschen gemacht.“ Die 20-Jährige will vor allem ihre Englischkenntnisse auffrischen, denn das ist die Campsprache für die Teilnehmer unter anderem aus Spanien, Italien, Serbien, Frankreich und der Türkei. Und auf Englisch haben sich zunächst auch die Gäste aus Russland und der Ukraine verständigt, die sich nach kurzer Zeit so gut verstehen, dass sie sich inzwischen das Schlafzimmer teilen und sich untereinander nun auch auf Russisch unterhalten. Bei ihnen hat das Camp sein Ziel der Völkerverständigung bereits erreicht.